„Marx als Produkt“ – ein Vortrag von Georg Fülberth

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Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx hielt der emeritierte Professor der Politikwissenschaft Georg Fülberth in Marburg wie in einer Reihe anderer Städte einen Vortrag, der sich im ersten Teil mit der wissenschaftlichen Arbeit von Marx im Kontext seiner Zeit, in der er lebte, befasst, und im zweiten Teil der Frage nachgeht, wie sich der Marxismus in den Formationen des Kapitalismus nach Marx‘ Tod weiterentwickelte. Ein weiterer Blick wird außerdem geworfen auf die Enwicklung des „Marxismus“ im Staatssozialismus.

Georg Fülberth gehört sicherlich zu den hervorragendsten Kennern der wissenschaftlichen Werke von Karl Marx und seines Freundes Friedrich Engels. Über Letzteren schrieb Fülberth ein Buch, das dieses Jahr im PapyRossa Verlag erschienen ist und über das noch zu sprechen sein wird.
Weitere empfehlenswerte Bücher unseres Autors u. a.: „Marxismus“, „G Strich – Kleine Geschichte des Kapitalismus“ und seine kürzere Variante „Kapitalismus“.
Fülberth arbeitet außerdem an der Erstellung der Marx-Engels-Gesamt-Ausgabe (MEGA) mit.
Georg Fülberth sprach seinen Vortrag bei uns nocheinmal ein, dafür sehr herzlichen Dank.

Hier zur schriftlichen Fassung:

Marx als Produnkt
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Georg Fülberth
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„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.“
(Goethe: Faust. Der Tragödie Erster Teil)

Wovon reden wir, wenn wir über 200 Jahre Karl Marx sprechen?
Karl Marx, geboren am 5. Mai 1818, gestorben am 14. März 1883, wurde 64 Jahre, zehn Monate und neun Tage alt. Es bietet sich aber an, nicht nur über diese recht knappe biografische Zeitspanne zu reden, sondern über 200 Jahre Karl Marx, also auch über das, was man wohl sein Nachleben nennen könnte.

Dies kann zu folgender These führen: Sowohl das eigene wissenschaftliche und politische Wirken von Marx zwischen 1818 und 1883 als auch sein Nachleben von 1883 bis 2018 und wohl auch darüber hinaus waren, sind und werden zweierlei sein: Ergebnisse erstens seiner eigenen Zeit und zweitens der 135 Jahre danach, also der jeweiligen Phase der kapitalistischen Entwicklung.
In all diesen Perioden ist seine Theorie neu verstanden und danach akzeptiert oder auch verworfen worden unter Rückgriff auf die je aktuellen Erfahrungen zunächst von Marx und Engels selbst, danach aber auch der auf sie folgenden Generationen.

Das schriftliche Werk von Marx ist veröffentlicht oder wird, wenn es einst bis auf die letzte Handschrift aus dem Nachlass in der MEGA publiziert sein wird, schließlich vollständig gedruckt sein. Zugleich aber hat dieses so fixierte Werk sich von Anfang an gewandelt. Denn es befand und befindet sich ständig im Medium von Zeitumständen, und in dem Maße, in dem sich diese Umstände wandelten, wird es sich ändern, es ist nicht endenden Metamorphosen unterworfen.

Allerdings: Dass spätere Generationen ihre eigenen Erfahrungen in Marx‘ Werk wiedererkennen konnten oder dass sie der Ansicht waren, sich unter deren Eindruck davon abwenden zu müssen, hat auch mit einer anderen Tatsache zu tun: Marx nahm für sich in Anspruch, allgemeine Struktureigenschaften und Entwicklungsgesetze des Kapitalismus entdeckt zu haben, die, so lange der Kapitalismus besteht, innerhalb von dessen Grenzen gleichsam zeitlos sind, sodass jede Generation sie entweder wiederzuerkennen oder zu der Erkenntnis zu kommen meint, sie entsprächen ihren Erfahrungen nicht mehr. Dies betrifft vor allem die so genannte Wertformanalyse der ersten drei Kapitel des ersten Bandes des „Kapital“, auch noch das fünfte (Herleitung des Mehrwerts), ebenso große Teile der „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ von 1857/58, mithin den „logischen Marx“ im Unterschied zum historisch-empirischen, gleichsam „positiven“, an der Wahrnehmung orientierten.

Auch der Staatssozialismus hatte seine spezifischen Marx-Bilder. 200 Jahre Kapitalismus sind nun aber quantitativ eben mehr gewesen als 74 Jahre Sozialismus. Die Rezeption von Marx durch den Staatssozialismus wird deshalb im Folgenden etwas kürzer ausfallen müssen als im Kapitalismus.

Beginnen wir nun mit den unmittelbaren Umständen der Wirksamkeit von Karl Marx in seiner eigenen Zeit, und zwar zunächst mit der Periode 1780-1873.

Wieso 1780 und 1873, und nicht 1818, Marx‘ Geburtsjahr, und 1883, seinem Todesjahr?
Antwort: Um 1780 begann die industrielle Revolution, in die Karl Marx hineingeboren wurde, er fand sie schon vor, sie war eine der Bedingungen seines Wirkens.
Sie endete nicht erst 1883 mit seinem Tod, sondern schon mit dem Gründerkrach 1873, als der Kapitalismus in eine andere Phase überging.

Die Welt, in die Karl Heinrich Marx am 5. Mai 1818 hineingeboren wurde, war geprägt von:
der Industriellen Revolution und den von ihnen ausgelösten Zyklen von Aufschwüngen und Krisen;
der französischen Revolution von 1789 sowie ihren Folgen: der Umstürzung der alten europäischen Ordnung in den napoleonischen Kriegen bis 1815; der Restauration 1815-1830, die die politische Revolution rückgängig machen wollte, den Revolutionen in Frankreich 1830 und Belgien 1831, den europäischen Revolutionen von 1848/1849 und schließlich der Pariser Commune von 1871, dem US-amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865 sowie Bismarcks Revolution von oben 1866-1871.

Das alles musste erst einmal begriffen werden, und dazu bedurften aufgeweckte Köpfe einer Theorie. Hierfür bot sich
die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) an und hier deren zentrales Erklärungsmuster: die Dialektik. Diese schien sehr gut sowohl zur ökonomischen wie auch zur politischen Geschichte Europas seit 1780 zu passen.
Industrielle Revolution: Das war die Ablösung des Handelskapitalismus durch den Industriekapitalismus, die Entwertung bisheriger Techniken durch Maschinenbau und Dampfkraft, die Akkumulation von Kapital im Aufschwung, seine Entwertung in der Krise, die dann schon wieder die Voraussetzung ihres eigenen Gegenteils war: ihrer Aufhebung im nächsten Aufschwung – Umschlagen eines Zustandes in einen anderen: Dialektik eben, wie Hegel, hätte er sich mit Industrie befasst, das hätte nennen können. Aufhebung und Umschlag waren Hegelsche Begriffe, und wer Hegel studiert hatte wie der junge Karl Marx, fand hier ein Angebot zum Verständnis seiner eigenen Zeit.
Das war aber bei weitem noch nicht alles, was Marx vorfand.
Die industrielle Revolution brachte in ihrem Ursprungsland, Großbritannien, einen ökonomischen Materialismus hervor, der zunächst unverbunden neben älteren religiösen und anderen idealistischen Vorstellungen weiterbestand und in einem neuen Wissenschaftszweig systematisiert wurde: der Politischen Ökonomie von Adam Smith (1723-1790) und David Ricardo (1772-1823). Diese Koexistenz von Sonntags-Idealismus und Werktags-Materialismus drängte lebenspraktisch zu einer Auflösung zunächst auf eher bieder-dumpfbackige Weise: zu einem Alltagsmaterialismus, der die Menschen dazu anhielt, die Welt unter dem Gesichtspunkt ihres individuellen Nutzens zu betrachten – eine Art Verbetriebswirtschaftlichung der Welt. Älter war ein philosophischer Materialismus der französischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, der zum Atheismus führte.
Fünftens schließlich entstand mit der Industriellen Revolution das Massenelend des modernen Proletariats, für einen an Hegel geschulten Dialektiker eben das Anderssein – so klang dies in der Sprache dieser philosophischen Schule – des gleichzeitig angehäuften ungeheuren Reichtums. Eine praktische Folge dieses Widerspruchs – wieder ein Hegelscher Begriff: Widerspruch – waren erste Ansätze einer Arbeiterbewegung: im englischen Chartismus, im utopischen Kommunismus Robert Owens in England und Wilhelm Weitlings in Deutschland sowie im französischen Frühsozialismus.
Dies waren die fünf Elemente seiner eigenen Zeit, die der junge Karl Marx vorfand, als er in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die Universität bezog und sich zu orientieren begann. Von ihnen hat er zunächst aber nur eines wahrgenommen: die Philosophie Hegels. Er war als Student in Berlin ein Stubenhocker, der außerdem in einem Intellektuellenzirkel, dem „Doktorclub“, verkehrte. Seine Promotion absolvierte er in Jena. Die Anwendung der Dialektik – der Aufhebung des Vorgefundenen – auf die Hegelsche Philosophie selber entsprach deren eigenen Postulaten und lag nahe. Marx hat sie nicht entdeckt, sondern fand sie ebenfalls vor: bei den so genannten Junghegelianern. Einer von ihnen hat es damit besonders toll getrieben: Ludwig Feuerbach (1804-1872). Für ihn war eine notwendige Konsequenz der Anwendung der Dialektik auf die Hegelsche Philosophie der Umschlag von deren Idealismus in den Materialismus, der damit nicht mehr nicht nur der englische Alltagsmaterialismus und die französische Übersetzung der Religionskritik ins Deutsche, etwa durch den ehemaligen Theologen David Friedrich Strauß, war.
Dies alles hat der junge Marx aufgenommen und zugleich, nach dem Studium als Redakteur der Rheinischen Zeitung in Köln (da war er dann kein Stubenhocker mehr) mit der Analyse der deutschen politischen Wirklichkeit verbunden. Den Durchbruch aufgrund einer Verbindung aller dieser Elemente brachte 1844 sein genialischer Essay „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“. Hier braucht, um das zu demonstrieren, nur noch zitiert zu werden:
„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (MEW 1: 385)
Alle Verhältnisse umzuwerfen… Das war natürlich ein bisschen viel auf einmal. Marx war inzwischen schon nicht mehr Redakteur, aber er wusste durch seine journalistische Arbeit etwas von den deutschen Zuständen – und etwas Anderes als Deutschland kannte er noch nicht –, deshalb wandte er seinen Grundsatz zunächst auf Deutschland an:
„Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emanzipation?
Antwort: In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, welche nicht mehr auf einen historischen, sondern nur noch auf den menschlichen Titel provozieren kann, welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat.“ (MEW 1: 390)

Das ist ja nun zweifellos mitreißend formuliert, und immer wieder sind junge Intellektuelle durch diese Passage und ähnliche andere aus den Marxschen Frühschriften auf den Weg gebracht worden, auf dem man schließlich, wenn man dranbleibt, Marxist(in) wird. Aber zugleich hat der sechsundzwanzigjährige Karl Marx da den Mund doch ein bisschen arg voll genommen. Er spricht von einer Angelegenheit, über die er noch gar nichts weiß: das Proletariat. Dieses war für ihn damals lediglich ein geschichtsphilosophisches Konstrukt, und dies ganz im Hegelschen Sinn: die äußerste Verelendung schlägt um in die totale Emanzipation, auch wenn die Proletarier, so wie sie empirisch da sind, von diesem weltgeschichtlichen Auftrag, den ihnen eine gewisse Philosophie erteilt, noch gar nichts wissen. Marx hat wenig später eingeräumt, dass hier ein Unterschied zwischen Sein und Sollen besteht, aber das Sollen, ja das Müssen hielt er letztlich doch für entscheidend: die Proletarier würden durch die Verhältnisse dazu gezwungen werden, Revolutionäre zu sein. Bis heute ist dies eine Leer- und Schwachstelle im Parteimarxismus geblieben, das, was man manchmal als die HiMidAkl ironisiert hat: die historische Mission der Arbeiterklasse.

Marx wusste von der Arbeiterklasse bald mehr als in jenem Aufsatz von 1844. Er wurde rasch geerdet, vor allem durch Friedrich Engels. Dieser ging 1842 für knapp zwei Jahre als kaufmännischer Praktikant in ein elterliches Unternehmen nach Manchester, begann eine jahrzehntelange Beziehung zu einer irischen Fabrikarbeiterin, Mary Burns, die bis zu deren Tod 1863 andauerte, veröffentlichte 1845 sein Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ und bildete mit Marx eine Art Zwei-Mann-Partei, die Partei Marx-Engels, die bis zu Marx‘ Tod 1883 bestand.
Engels´ Buch „Die Lage der arbeitenden Kasse in England“ war ebenfalls – wie die Schriften von Marx – nicht allein das Produkt seines Kopfes. Woher sein Kopf das hatte, schrieb er schon im Untertitel des Werks: „Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen“. Eigene Anschauung: sie sah, was schon da war. „Authentische Quellen“: Diese gaben die Realität wieder. Und drittens war Engels auch nicht der Erste und Einzige, der über das Elend in den industriellen Zentren schrieb. Es gab sogar ein ganzes Genre der zeitgenössischen Elendsliteratur – von Alexis de Tocqueville bis Charles Dickens, auch Fachliteratur. Aus der Letzteren hat sich Engels freizügig bedient, so freizügig, dass man ihm sogar Plagiat vorgeworfen hat – zu Unrecht allerdings, denn er hat die von ihm benutzte Literatur genannt. Dass es diese gab, zeigte, dass gesellschaftliche Verhältnisse bestanden, die sie hervorbrachten. Neu war die dialektisch-revolutionäre Konsequenz, die Engels aus ihnen zog. Er hatte in England auch die bürgerlichen ökonomischen Klassiker gelesen und im selben Heft der „Deutsch-französischen Jahrbücher“, in dem Marx‘ Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie erschien, einen Aufsatz veröffentlicht mit dem Titel: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ – übrigens ebenfalls im Hegelschen Duktus. Ökonomie und Proletariat – Marx hat sie zunächst durch Engels kennengelernt: zwei wichtige Tatsachen seiner eigenen Zeit, zu denen er bis dahin kein Verhältnis hatte, sind dadurch dem Fundus dessen hinzugefügt worden, aus dem schließlich sein Werk entstand. Friedrich Engels war 1842 bis 1844 und dann wieder 1850 bis 1869 in der Kernbranche der ersten Phase der Industriellen Revolution aktiv: in der Baumwollverarbeitung, und dies auch noch in der damaligen Hauptstadt dieses Zweigs: Manchester. Adam Smith hatte einst die Arbeitsteilung am Beispiel einer Nadelmanufaktur demonstriert, Ricardo seine Werttheorie an der Weizenerzeugung, Marx entwickelte die Mehrwertlehre anhand der Garnproduktion – dem Gewerbe der Firma Ermen & Engels in Manchester. Auch hier zeigt sich seine Theorie als Produkt des Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse, die er vorfand, hier vermittelt durch Friedrich Engels.

Ludwig Feuerbach hatte den philosophischen Idealismus Hegels materialistisch umgestülpt – Marx stülpte den rein betrachtenden Materialismus Feuerbachs nun aktivistisch um. Er hatte das von ihm geschichtsphilosophisch konstruierte Proletariat zur Vollstreckerin einer Emanzipation ernannt. In diesem Zusammenhang entstanden seine 1888, also nach seinem Tod, von Engels aus dem Nachlass publizierten so genannten „Thesen über Feuerbach“ von 1845, darunter die berühmte elfte These: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“
Für ihn bedeutete das, die Aufgabe der Veränderung nicht an andere zu delegieren, sondern selbst an ihnen teilzunehmen. Karl Marx wurde praktischer Politiker. Er, Engels, aber auch Ferdinand Lassalle verkörperten einen neuen Typus: den des Operativen Intellektuellen. Antonio Gramsci hat bekanntlich zwischen dem Traditionellen und dem Organischen Intellektuellen unterschieden. Engels, Lassalle, Marx, später auch der Drechslermeister und autodidaktische Theoretiker August Bebel, Lenin, Gramsci selbst, Mao tse Tung, Mahatma Gandhi, Ho Chi Minh, Palmiro Togliatti waren nicht nur Organische Intellektuelle, in denen eine Klasse oder gar ein ganzes Volk sich wiederfand, sondern zugleich unmittelbare politische Führer und praktische Organisatoren (um nicht zu sagen: Macher) – eine Kombination, die es seit dem Tod Togliattis, Ho Chi Minhs und Maos wohl nicht mehr gibt. Als Operative Intellektuelle haben Marx und Engels schnell Kontakt zu organisierten Arbeitern – meist Handwerkern – gesucht und hergestellt. Diese zeitgenössischen sozialistischen Theorien und praktischen Versuche waren wieder einmal nicht ihr Produkt, sondern umgekehrt, sie gehörten zu den Voraussetzungen ihrer Politik. In Brüssel – dorthin war Marx auf Betreiben der preußischen Regierung aus Paris ausgewiesen worden – gründeten er und Engels ein „Communistisches Korrespondenzbureau“ – wenn man so will: den allerersten Ansatz einer Internationale. Ihre früheste Bezugsorganisation war der „Bund der Gerechten“, in dem sie den utopischen Kommunismus des Schneiders Wilhelm Weitling bekämpften und den sie zum „Bund der Kommunisten“ umformten. Für diesen verfassten sie das „Manifest der Kommunistischen Partei“, niedergeschrieben 1847 und veröffentlicht 1848. Sie nahmen an der Revolution von 1848/1849 teil.

Ihre starke politische Aktivität seit Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts kam nicht aus ihnen selbst, sondern sie war ihrerseits ein Zeitprodukt. Sie war ein Phänomen des deutschen Vormärz: einer Bewegung von mehrheitlich liberalen, aber auch radikalen Intellektuellen – zum Beispiel des Dichters Georg Herwegh –, die seit dem Beginn der Regierung des Königs Friedrich Wilhelm IV. in Preußen auf eine neue Ära setzten und sich darin – soweit sie die (anders als Marx und Engels) von der Monarchie erwarteten, täuschen sollten.
Den von ihnen geführten „Bund der Kommunisten“ und die von ihnen redigierte „Neue Rheinische Zeitung“ stellten Marx und Engels fürs Erste in den Dienst einer allgemeineren radikaldemokratischen Revolution – das Blatt hatte ja den Untertitel „Ein Organ der Demokratie“. Zugleich hatten sie angenommen, dass die europäischen Revolutionen von 1848/1849 rasch in eine proletarische übergehen würden, und sie irrten sich. 1850 schloss Marx daraus, dass eine neue Revolution erst im Gefolge einer neuen Krise erfolgen werde, sie sei aber auch so sicher wie diese. Er nahm seine 1844 bei einem Paris-Aufenthalt begonnene Analyse der kapitalistischen Ökonomie auf, jetzt auch mit dem Ziel, die Bedingungen der nächsten Krise aufzufinden. Diese brach tatsächlich 1857 aus, und zwar sogar als die erste Weltwirtschaftskrise. Deren Erfahrungen zwangen ihn aber zu einer weiteren Metamorphose einer seiner bisherigen Auffassungen, nämlich seiner Meinung, dass die nächste Krise auch die nächste Revolution mit sich bringen müsse. Auf die Rezession von 1857 folgte keine Revolution. Der Kapitalismus erwies sich als stabil. Er hatte seine Grenzen noch nicht erreicht. Erst wenn sie zu eng geworden waren, konnten sie gesprengt werden. So löste Marx die Verbindung von ökonomischer Krise und politischer Revolution und formulierte 1859 im Vorwort zu seiner Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ sein letztes Wort zu diesem Thema, nachgerade ein Gesetz. Ich zitiere:
»Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.« (MEW 13: 9).

Marx befand sich damals schon mit mitten in der Erforschung dieser von ihm benannten „materiellen Bedingungen“. Ein Ergebnis war 1867 der erste Band des „Kapital“ mit seiner Entdeckung des Mehrwerts.
Diese allerdings war kein Produkt einer konkreten Erfahrung, im Gegenteil: der Mehrwert wurde durch abstrakte Analyse entdeckt, dies allerdings, wie gezeigt, am Beispiel der Leitindustrie der Ersten Industriellen Revolution, der Baumwollverarbeitung. Das ist eben das Allgemeine, nicht allein auf Erfahrung, sondern auf gedankliche Analyse Beruhende der Marxschen Theorie, ebenso wie die Wertformanalyse und die Dialektik – wobei Marx aber sowohl im Vorwort zur ersten als auch zur zweiten Auflage des ersten Bandes des „Kapital“ großen Wert auf die Feststellung legte, dass diese Allgemeine oder Abstrakte nur die – wie er es nannte – „Darstellungsweise“ betraf, während die „Forschungsweise“ empirisch sei, (MEW 23: 27) und Empirie ist nichts Anderes als Erfahrung.

Wir haben gesehen, wie Marx auch als praktischer Operativer Intellektueller niemals etwas erfunden, sondern immer nur etwas bereits Vorhandenes entdeckt, allerdings zugleich weiterentwickelt hat. 1852 haben Engels und er erkannt, dass der 1848 aus dem „Bund der Gerechten“ hervorgegangene „Bund der Kommunisten“ keine Basis in der gesellschaftlichen Realität mehr hatte. Diese Organisation löste sich auf.
Auch die 1864 gegründete Internationale Arbeiterassoziation – später als die „Erste Internationale bezeichnet – war nicht das Geschöpf von Marx (Engels war ohnehin weitab in Manchester). Marx reagierte vielmehr auf eine Bitte von Londoner Gewerkschaftern, die sich um internationale Hilfe gegen Streikbrecher bemühten. Die von ihm aus diesem Anlass verfasste Gründungsadresse – offizieller Titel: Inauguraladresse – ging allerdings über diesen Anlass hinaus. Infolgedessen sah er sich sehr schnell Realitäten gegenüber, die ihn und Engels 1872 zwangen, die Erste Internationale de facto zu liquidieren: durch die Verlegung ihrer Zentrale in die USA.
Was waren das für Realitäten? Es waren im Wesentlichen drei.
Erstens: Die britischen Gewerkschaften der gelernten Arbeiter begannen sich innerhalb der relativen Vorteile, die das Weltmarktmonopol ihres Landes ihnen ermöglichte, einzurichten. Sie waren nicht revolutionär.
Zweitens: Die erste Generation des Proletariats der südeuropäischen Länder lebte im Wesentlichen unter vorindustriellen Bedingungen. Hier überwog der Einfluss des Anarchisten Michail Bakunin.
Die Orientierungen dieser beiden Richtungen waren innerhalb einer einzigen Organisation – der Internationalen Arbeiterassoziation – nicht zu vereinheitlichen. Deshalb musste diese scheitern.
Drittens: Der Übergang zu Schutzzoll und nationalen Kartellen und ersten staatlich initiierten sozialen Sicherungssystemen verwies die Arbeiterbewegungen in den industriell entwickelten Ländern auf Interessenvertretung vor allem auf nationaler Ebene. Eine internationale Organisation musste dadurch fürs Erste in Leere laufen.
Für Marx und Engels wurde es jetzt notwendig, ihre Revolutionsstrategie neu auszurichten. Zu Marx‘ Lebzeiten ist es nicht mehr dazu gekommen.

Auch die historisch-materialistische Staatsauffassung war zwischen 1848 und 1873 – in diesem Fall genauer: 1871 – Metamorphosen (nicht Goethisch, sondern auch Hegelisch gesprochen dürfen wir auch von Umschlägen sprechen) unterworfen, die ihre Ursache in konkreten zeitgenössischen Fakten hatten.
In den von Engels 1847 verfassten „Grundsätzen des Kommunismus“ und im „Manifest der Kommunistischen Partei“ von 1848 gingen Marx und Engels davon aus, dass die demokratische Republik dann die spezifische Form der Herrschaft des Proletariats sein werde, wenn dieses die Mehrheit der Bevölkerung bildet. In der Pariser Junischlacht 1848 und in der Pariser Blutwoche von Mai 1871 hatte aber das Militär einer parlamentarischen Republik Massaker unter dem Proletariat angerichtet. Die Erfahrung von 1848 hatte Marx in seiner Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1852 dazu veranlasst, die Exekutive jedes bürgerlichen Staates, unabhängig von der Staatsform, also auch in der Demokratie, als Repressionsapparat zu definieren. Letztlich war für ihn und Engels jeder Staat Instrument der Klassenherrschaft. Wodurch war er zu ersetzen? Die Antwort darauf meinte Marx wiederum in einer zeitgenössischen Tatsache gefunden zu haben: in der Pariser Commune 1871. Diese ging nach seiner (und Engels‘) Meinung die ersten Schritte zur Aufhebung des Staates.

Damit sind wir inzwischen an das Ende der Phase der Industriellen Revolution in Europa gekommen, und wir wenden uns nun der nächsten zu:
1873-1895 Übergang in den Organisierten Kapitalismus
Der Begriff des Organisierten Kapitalismus ist erst 1925 von Rudolf Hilferding verwandt worden. Doch er stützte sich dabei auf Beobachtungen, die sich seit der langen Stagnationsphase zwischen 1873 und 1895/96 machen ließen: Vordringen der Aktiengesellschaften und von Kartellen, Schutzzöllen, staatlicher Sozialpolitik. In nachgelassenen ökonomischen Manuskripten von Marx, die Engels aus seinem Nachlass als zweiten und dritten Band des „Kapital“ 1885 und 1894 veröffentlichte, findet sich dazu einiges, aber noch nicht sehr viel, sodass Engels einige Aktualisierungen zu den Aktiengesellschaften vornehmen musste.
Dieser hat in seiner Einleitung von 1895 zu Marx‘ Schrift „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ aus dem Jahr 1850 eine Modifikation der revolutionären Strategie vorgenommen. Wieder stützte er sich auf zeitgenössische Beobachtungen:
Aufgrund moderner militärtechnischer und städtebaulicher Entwicklungen: Größere Schlagkraft der Artillerie im Straßenkampf, die Anlage großer Boulevards in Paris durch Georges-Eugène Haussmann, machten Aufstände von Avantgarden an der Spitze bewusstloser Massen, wie sie Louis-Auguste Blanqui einst geplant hatte, aussichtslos. 1852 hatte Marx sich positiv auf Blanqui bezogen, ganz gewiss in Übereinstimmung mit Engels. Der revidierte jetzt diese Position. War ein Minderheitsaufstand unmöglich geworden, so hatten sich die Bedingungen für die Arbeiterbewegung in einer anderen Weise verbessert: Es war ihr insbesondere in Deutschland gelungen, Positionen zu besetzen (Parlamente, Sozialversicherungen, Gewerbegerichte) und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen, von wo aus sich die Chance ergab, die Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen. Dies gebe ihr eine gute Ausgangsstellung für die finale Auseinandersetzung mit dem Kapital, bei der der Einsatz von Gewalt deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, weil die herrschenden Klassen wahrscheinlich ihre Zuflucht bei ihr suchen würden.
In Engels´ Einschätzung drückte sich die Tatsache aus, dass der Kapitalismus mittlerweile in eine Zwischenphase relativer politischer Stabilität eingetreten war. Nach der Stagnationsperiode 1873 bis 1895/96 ging er in einen neuen ökonomischen Aufschwung über, der nicht mehr von den beiden Begründern der materialistischen Geschichtsauffassung begleitet und interpretiert werden konnte. Am 5. August 1895 starb Friedrich Engels.

Die nun beginnende Periode war gekennzeichnet durch den
Übergang in den Imperialismus 1895/96 bis 1914.
Die beiden Begründer des historischen Materialismus haben einen großen Fundus von Einschätzungen hinterlassen, die auf den Erfahrungen ihrer eigenen Lebenszeit beruhten. Die nächste Generation von Marxistinnen und Marxisten konnte sich der von ihnen entwickelten Methode bedienen, aber ihre eigene Politik konnte sie nur gemäß der sich weiter wandelnden kapitalistischen Wirklichkeit betreiben. Es bildete sich dabei eine Orthodoxie heraus, bei von Marx und Engels überkommene Denkfiguren dazu benutzt wurden, eigene neue Sichtweisen zu legitimieren.
Sehr deutlich wurde dies in Diskussionen, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Russland geführt wurde. Russisch war die erste Sprache, in die das „Kapital“ übersetzt wurde, 1872. Denn die russische Wirklichkeit kam dem Buch „Das Kapital“ entgegen. Hier, in Russland, stand zweierlei an: die industrielle und die politische Revolution. Seit der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 befand sich das Land, wie der Historiker Valentin Giterman später schrieb, im „Treibhaus des Kapitalismus“. Die Revolution, die anstand, war der Sturz des Zarismus, also eine bürgerliche, vielleicht auch ein radikaldemokratische Revolution wie 1848 in Mittel- und Westeuropa, die ja auch eine Revolution in der Industriellen Revolution gewesen war. Theoretisch interessierte russische Liberale schätzten „Das Kapital“, weil sie in diesem Werk vor allem die Gesetzmäßigkeiten des Marktes beschrieben sahen, nämlich in den so genannten Reproduktionsschemata des zweiten Bandes des „Kapital“, die die Austauschverhältnisse u.a. zwischen dem Produktionsgüter- und dem Konsumgütersektor analysieren. Die so genannten Volkstümler dagegen waren der Ansicht, dass der Kapitalismus in ihrem Land keine Chance habe, dass also die Reproduktionsschemata dort nicht so greifen konnten wie im Westen. Das letzte Kapitel des ersten Bandes des „Kapital“ zeigte ihnen die Gräuel eines künftigen Kapitalismus, den es deshalb zu vermeiden gelte, durch den unmittelbaren Übergang vom vorkapitalistischen Gemeineigentum in den Kommunismus. Die russischen Marxistinnen und Marxisten stützten sich ebenfalls auf die Reproduktionsschemata, kamen aber zu einem anderen Ergebnis als die Liberalen und die Volkstümler. Hierher gehört auch Lenin. In seinem Buch „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ von 1899 – Untertitel: „Der Prozeß der Bildung des inneren Marktes für die Großindustrie“ – legte er dar, dass dieser schon revolutionsreif sei, sah darin eine Bestätigung der Reproduktionsschemata und eine revolutionäre Perspektive sogar über die bürgerliche und radikaldemokratische Revolution hinaus.
Rosa Luxemburg dagegen hielt eine Modifizierung dieser Reproduktionsschemata für geboten, um diese realitätstüchtig zu machen. Sie griff die russische Diskussion auf, befand, dass die von Marx hypothetisch vorgenommenen harmonischen Austauschverhältnisse zwischen Produktionsmittel- und Konsumgüterindustrie entgleisen müssten, sobald man einige Variabeln wirklichkeitsnäher änderte, und gelangte schließlich zu dem Ergebnis, dass Kapitalismus Überakkumulation bedeute. Dies traf sich mit ihrer Beobachtung des zeitgenössischen Imperialismus mit seinem Waren- sowie Kapitalexport und der daraus resultierenden Tendenz zum Krieg. Erst durch diese Wahrnehmung, kombiniert mit Beibehaltung und Modifikation der Marxschen Reproduktionsschemata, kam sie zu ihrem Buch „Die Akkumulation des Kapitals“ von 1913. Um es mit einer Formulierung des ganz jungen Marx zu sagen: Die Wirklichkeit drängte zum Gedanken.

Auf Marx und Engels folgenden Generationen haben deren Theorien im Licht ihrer Erfahrungen nicht nur weiterentwickelt und akzeptiert, sondern – ebenfalls unter Hinweis auf Erfahrungen – auch verworfen.
Der erste, der dies in großem Maßstab tat, war Eduard Bernstein. In England hatte er einen inzwischen intern relativ sozialfriedlichen Kapitalismus ohne revolutionäre Perspektive kennen gelernt, in Deutschland meinte er eine ähnliche Situation wahrzunehmen. Zu ihrer Beschreibung erschien ihm die gesamte Theorie von Marx und Engels ungeeignet – von der Dialektik über das Verhältnis von Basis und Überbau, den Mehrwert bis zur Revolutionsauffassung auch noch in der von Engels veränderten Fassung von 1895. Bernstein war von 1888 bis 1895 in London die rechte Hand von Friedrich Engels gewesen. Schon ein Jahr nach dessen Tod trat er 1896 mit seinen neuen Auffassungen hervor, in einer Artikelserie mit dem Titel „Probleme des Sozialismus“, 1899 dann mit dem Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“. In den Jahrzehnten ab 1873 schien die historische Dialektik in den kapitalistischen Metropolen so stillgestellt, dass Bernstein dialektisches und revolutionäres Denken und Handeln prinzipiell für wirklichkeitsfremd oder sogar für putschistisch hielt. Letztlich ersetzte er die materialistische Geschichtsauffassung durch Evidenz und Empirie. Von dem Augenblick an, in dem sich die empirischen Befunde nachgerade schlagartig änderten, ab 1914, wurde er hilflos. Er akzeptierte Noskes Vorgehen gegen den revolutionären Flügel der Arbeiterbewegung und hatte an jenem nur zu tadeln, dass er in seinem persönlichen Auftreten ein wenig schroff gewesen sei.

Anders ging der Kinderarzt Rudolf Hilferding mit dem Verhältnis von Empirie und Theorie um. In seinem Buch „Das Finanzkapital“ von 1910 schilderte er die jüngere ökonomische Entwicklung, wie sie immerhin schon Friedrich Engels in Ansätzen hatte kommen sehen: Monopolisierung von Industrie und Bankkapital, ihre wechselseitige Durchdringung zum Finanzkapital. Das waren Tatsachen. Sie stimmten mit dem überein, was Hilferding in Marx‘ Ausführungen über die Zentralisation des Kapitals, über die Aktiengesellschaften und – im dritten Band des „Kapital“ – über das Geldhandlungskapital und das fiktive Kapital gefunden hatte. Diese Vitalisierung von Marxschen Überlegungen wäre ohne die korrekt aufgefasste Evidenz zeitgenössischer Erscheinungen wohl nicht erfolgt – und umgekehrt wäre ihm deren Interpretation ohne Marx gewiss auch nicht gelungen.

Diese neue Wirklichkeit, die Hilferding und Luxemburg beschrieben, war das, was mehrere Jahrzehnte später Eric Hobsbawm als das
Zeitalter der Katastrophen (1914-1945)
bezeichnete: zwei Weltkriege, einer von ihnen ein Vernichtungskrieg mit dem Versuch der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung Europas, eine Weltwirtschaftskrise, Faschismus. Es war aber nicht nur ein Zeitalter der Katastrophen, sondern auch des Versuchs der Abwehr dieser Katastrophen: die russische Oktoberrevolution, die Entstehung des Staatssozialismus.
Hier haben wir eine ganz andere gesellschaftliche Realität als in der Zeit von Marx und Engels. Für die Marxist(inn)en dieses neuen Zeitalters blieben die materialistische Geschichts- und Gegenwartsauffassung zwar leitend, in ihrer politischen Praxis trat aber nun die Kritik der politischen Ökonomie hinter eine Theorie und Praxis der Politik zurück. Im Gegensatz zu ihnen berief ausgerechnet Gustav Noske sich auf den ökonomischen Marx zur Begründung für die seiner Meinung nach notwendige Niederwerfung der revolutionären Arbeiterbewegung:
„Marx hat uns gelehrt, das politische Verhalten der Völker werde in der Hauptsache von ihren materiellen Interessen oder Zielen bestimmt. Wie oft leider politische Bestrebungen durch persönliche Interessen, Empfindlichkeit, Streberei, Herrschsucht, Lust am Ruhm und Herostratentum bestimmt werden, habe ich an genug Einzelfällen studieren können.“ Dagegen habe er, Noske, einschreiten müssen.

Jetzt haben wir eine ganz andere gesellschaftliche Realität als in der Zeit von Marx und Engels. Für die revolutionären Marxistinnen und Marxisten dieser neuen Epoche blieb die materialistische Geschichts- und Gegenwartsauffassung zwar leitend, in ihrer politischen Praxis trat aber nun die Kritik der politischen Ökonomie hinter eine Theorie und Praxis der Politik zurück.
Es gab eine Ausnahme: dass Henryk Grossmanns Buch „Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems“ ausgerechnet 1929, im Jahr des Ausbruchs der Weltwirtschaftskrise, erschien, mag ein Zufall gewesen sein. Es war schon vorher erarbeitet worden, und zwar wieder einmal in Auseinandersetzung mit den Reproduktionsschemata des zweiten Bandes des „Kapitals“. Aber es passte in die Zeit und hatte den Untertitel: „Zugleich eine Krisentheorie“. Eine operative politische Bedeutung hatte es nicht. Es war die Zeit der politischen, nicht in erster Linie der ökonomischen Analyse und Praxis. Der italienische Kommunist Antonio Gramsci bezeichnete die Oktoberrevolution sogar als „eine Revolution gegen das ´Kapital‘“ – gemeint war das Marxsche Buch „Das Kapital“. Die Revolution war nicht in einem hochentwickelten kapitalistischen Land ausgebrochen, in Russland bildete nicht das Proletariat, sondern die Bauernschaft die Mehrheit der Bevölkerung. Mitte der zwanziger Jahre begann der lange Prozess der chinesischen Revolution, zwar geführt von einer kommunistischen Partei, aber mit der Massenbasis unter den Bauern. Alle erfolgreichen großen Revolutionen – von der englischen 1640-1688 über die französische 1789 ff. bis zur russischen und chinesischen – hatten Analphabeten als Massenbasis, was den unmittelbaren Einfluss gedruckten aufwieglerischen Gedankenguts wohl relativieren dürfte.
Mao hat Marx und Engels weniger zitiert als die chinesischen philosophischen Klassiker. In seiner Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ (1917) bezog sich Lenin nur indirekt, über Hilferding, auf Marx, empirisch aber auf einen Sozialliberalen, John A. Hobson. Dagegen revitalisierte er gleich anschließend die Auffassungen von Marx und Engels zur Theorie des Staates und der Notwendigkeit seiner Zerschlagung: in seiner 1917 verfassten, 1918 veröffentlichten Schrift „Staat und Revolution“. Auf den ersten Blick liest sie sich wie die philologische Arbeit eines Schriftgelehrten: Lenin hatte alle Äußerungen von Marx und Engels über den Staat gesammelt. Dass er diese Rekonstruktion ihrer älteren Auffassungen vornahm, hatte aber einen aktuellen Anlass: sie waren gleichsam der Anhang zu seinen Aprilthesen von 1917, in denen er die Beendigung der Doppelherrschaft von Provisorischer Regierung und Räten zugunsten der letzteren forderte.
Lenins Aktualisierung der Staatstheorie von Marx und Engels lenkte die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, das umzuwälzen, was diese beiden den „Überbau“ genannt hatten. Dazu gehörte nicht nur der Staat, sondern auch die Gesamtheit der Bewusstseinsformen, einschließlich der Philosophie. „Marxismus und Philosophie“: dies war der Titel einer Schrift von Karl Korsch 1923, in der er mit der eher behäbig beschreibenden Form des historischen Materialismus nach dem Tod von Marx und Engels brach und dessen Dynamisierung nach dem Vorbild und in Fortbildung der revolutionären Schriften dieser beiden Theoretiker aus den vierziger und frühen fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts zurückkehren wollte. Gramsci entwickelte eine Theorie nicht der Ökonomie, sondern der Politik, Georg Lukács eine Theorie des Klassenbewusstseins. Ernst Blochs Schrift über Thomas Müntzer nahm das Thema von Friedrich Engels‘ Schrift über den deutschen Bauernkrieg von 1850 wieder auf. Mit Bloch, Korsch und Lukács äußerten sich bisher bürgerliche Intellektuelle, die durch den Ersten Weltkrieg erschüttert wurden, durch die Oktoberrevolution zu Revolutionsenthusiasten geworden waren und sich dadurch auf Schriften von Marx und Engels verwiesen sahen, die in einer früheren revolutionären Situation entstanden waren. Die Empirie ihrer Zeit machte sie zu Marxisten.

Beim Aufbau des Sozialismus in Sowjetrussland gab es dagegen kaum die Möglichkeit eines solchen Rückgriffs auf bereits vorliegende Theoriestücke. Hier lag von Marx und Engels ökonomisch wenig vor, woran man hätte anknüpfen können – sieht man von Marx‘ Kritik des Gothaer Programms und einigen Nebenbei-Bemerkungen über geplante Wirtschaft ab. Vom Kapitalismus verstanden die Beiden eine Menge, vom Sozialismus fast nichts. Hier musste Neuland beschritten werden, und die sowjetischen Ökonomen taten dies und konnten sich dabei letztlich auf die Marxsche Arbeitswertlehre in der von ihm hinterlassenen unfertigen Form nicht in der Weise stützen, dass daraus ausreichende praktische Konsequenzen hätten gezogen werden können – ein Grund unter mehreren anderen für das Scheitern dieses Sozialismus-Typs.

Unter Stalin wurden Marx und Engels immer wieder genannt und zitiert, aber dies hatte ausschließlich ideologiepolitischen Charakter zur Legitimierung eines nicht abgebauten, sondern neu errichteten starken Staats.
In der Selbstrechtfertigung der sozialistischen Länder wurde viel von der Diktatur des Proletariats geredet. Der Begriff stammte ursprünglich nicht von Marx und Engels. Der Begriff stammte ursprünglich von Blanqui. Sie hatten ihn nur gelegentlich benutzt als Metapher für das Ende bürgerlicher Herrschaft. Das war bei ihnen ein kritischer Begriff gewesen: die Negation des bürgerlichen Staates. Für Friedrich Engels war die Pariser Commune zweierlei: erstens gar kein richtiger Staat mehr, zweitens eine Diktatur des Proletariats. 1891 schrieb er in einer Einleitung zu einer Neuauflage von Marx‘ Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ von 1871:
„Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Begriff Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“
Für ihn und für Marx war die Diktatur des Proletariats nur noch eine Art Reststaat, der die Kapitalistenklasse enteignete, gegenüber den Volksmassen keinerlei Repression mehr ausübte und bald ganz verschwand.
In der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen Ländern aber wurde „Diktatur des Proletariats“ aus einem kritischen – gegen die Diktatur des Kapitals gerichteten – Begriff zu einem affirmativen: zu einer Legitimierung der Herrschaft des Apparats. Marx und Engels hätte das gewiss nicht gepasst.

Der 1927 begonnene erste Versuch einer Marx-Engels-Gesamtausgabe ist unter Stalin abgebrochen worden, der Herausgeber David Rjazanov und andere Mitarbeiter an diesem Unternehmen wurden ermordet.
Unter dem Eindruck dieser Perversion des Sozialismus und der faschistischen Katastrophe der Zivilisation betrieb das aus Frankfurt am Main in die USA vertriebene Institut für Sozialforschung u.a. mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer eine Art Entmaterialisierung der dialektischen Theorie: als eine Kritik des Bestehenden ohne die Aussicht auf eine aktuelle praktische Umwälzung. Das war in gewisser Weise eine Rückkehr zum Linkshegelianismus ohne zentrale Stellung des Proletariats und ohne linearen Fortschrittsoptimismus, man kann auch sagen: unter Verzicht auf eher bedenkliche Teile des Erbes von Marx und Engels. Der Begriff, der sich hierfür durchsetzte, hieß: Kritische Theorie. Sein Preis war allerdings auch das Fallenlassen der elften These über Feuerbach: Philosophen interpretierten die Welt und waren erschrocken über die Ergebnisses kontraproduktiven Handelns, die zu Inhalten ihrer Erfahrung wurden.
Mit dem Vordringen des sowjetischen Einflussbereiches bis nach Mitteleuropa, der chinesischen Revolution, der einsetzenden Entkolonisierung und einer Teilplanung auch im Kapitalismus zunächst in den Kriegswirtschaften 1914-1918 und 1939-1945 hatten Umwälzungen aber tatsächlich stattgefunden. Nun begann eine neue Periode:
Systemauseinandersetzung und kapitalistischer Wohlfahrtsstaat 1945-1989.

In dieser Zeit erreichte das Werk von Marx und Engels weltweit seinen höchsten Bekanntheitsgrad, dies allerdings in sehr verschiedenen Formen:
In den Ländern des sowjetischen Einflussbereiches, aber auch in China war der Marxismus-Leninismus Legimitationsideologie der bestehenden Staatsmacht. Soweit er ein Instrument der Kritik war, geschah dies auf zweierlei Art und Weise: erstens in der offiziellen staatlichen Propaganda als Waffe in der Auseinandersetzung mit dem kapitalistisch gebliebenen Teil der Welt. Zweitens haben sozialistische Dissidentinnen und Dissidenten Marx auch gegen die Praxis der Länder, in denen sie lebten, zu wenden versucht. Ein Aspekt der staatlichen Praxis im Osten war aber immerhin auch, dass ab 1975 zum zweiten Mal mit der Historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe begonnen wurde, organisiert von den Instituten für Marxismus-Leninismus bei den Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Letzteres veranstaltete auch die Edition der Werke von Marx und Engels in den blauen Bänden der Marx-Engels-Studienausgabe (MEW).
In den Entkolonisierungbewegungen war neben dem Nationalismus oft auch ein antiimperialistischer Bezug auf den Marxismus wirksam – als eine Legitimationsideologie ihres Kampfes. Gleiches gilt für die chinesische, die kubanische und die vietnamesische Revolution.

Das Bildungswesen mancher hochentwickelter kapitalistischer Länder förderte die Kenntnis des historischen Materialismus im Zug einer Art von Feinderkundung. In den USA und in der Bundesrepublik wurde er erforscht, Schul- und akademischer Unterricht sollten vor ihm warnen und machten ihn dadurch oft erst bekannt. Besondere Aufmerksamkeit richtete sich auf die Marxschen Frühschriften. Sie schienen geeignet, gegen den Staatssozialismus gewendet zu werden. Die Hoffnung junger Intellektueller im Westen, dass sie ein Potential enthielten, mit dem die kapitalistischen Verhältnisse durch den jungen Marx zum Tanzen gebracht werden könnten, schreckte die offizielle bürgerliche Kulturpolitik nicht: Die Evidenz eines stabilen Wohlfahrtskapitalismus erschien ihr – wie einst Eduard Bernstein – eine Widerlegung des ökonomischen Marx und seiner Revolutionstheorie durch Erfahrung.

Es blieb der „logische Marx“: die Wertform-Analyse, deren Rekonstruktion sich, von Adorno ermutigt, Hans Georg Backhaus widmete. Die strukturalistische „Kapital“-Lektüre von Louis Althusser entsprach der – scheinbaren oder tatsächlichen – Bewegungslosigkeit der gesellschaftlichen Situation. Gleiches gilt für das Anwachsen des Einflusses der Kritischen Theorie des nach Frankfurt am Main zurückgekehrten Instituts für Sozialforschung.

Eine Weiterentwicklung der Kritik der Politischen Ökonomie stellte die von der DDR und der Französischen Kommunistischen Partei (hier vor allem von Paul Boccara, 1932-2017) ausgehende Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus dar. Sie erklärte die Ursachen der relativen Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern, reagierte also auf die gleichen Umstände wie die Neue Marx-Lektüre Althussers und die Frankfurter Kritische Theorie.
Dagegen ging die von dem trotzkistischen Theoretiker Ernest Mandel vorgetragene Analyse des Kapitalismus von dessen fortbestehender revolutionsträchtiger krisenträchtiger Erschütterbarkeit aus.
In der Intellektuellenrebellion von 1968 schien sich dies zu bestätigen. Sie bezog sich teilweise auf Marx, aber auch auf Bakunin. Die Streikkämpfe vom Ende der sechziger und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre schienen dem klassischen Arbeiterbewegungsmarxismus zu entsprechen. „Kapital“-Lesekreise vor allem von Studierenden suchten Erklärung für das unmittelbar Wahrgenommene. Die Einführungen von Wolfgang Fritz Haug in Marx‘ Werk waren einflussreich.

Mit dem Erlöschen der Arbeiterkämpfe in den Metropolen ab 1975 sah sich der französische Sozialtheoretiker André Gorz veranlasst, den „Abschied vom Proletariat“ auszurufen. Ein anderer Abschied oder Teilabschied wurde von marxistischen Feministinnen – in Deutschland wohl zuerst von Christel Neusüß – ausgerufen, deren Meinung nach das Geschlechterverhältnis außerhalb Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie blieb. Die Patriarchatskritik von Engels‘ Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ von 1884 hätte einer kritischen Fortschreibung aufgrund neuer Forschungsergebnisse und der Situation am Ende des 20. Jahrhunderts bedurft, was vorerst unterblieb.
Diese Gewichtung zuungunsten der Geschlechterproblematik ist schon in den frühen Schriften von Marx und Engels angelegt. Zwar hatte Marx in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“ proklamiert, „alle“ Unterdrückungsverhältnisse umzuwerfen, aber was war „alle“? Er benannte nur das Elend des Proletariats, wohl weil er annahm, dass durch dessen Aufstand auch die Niederdrückung „aller“ beseitigt wurden. Dass damit auch die Frauen gemeint waren, ist nicht sicher. Im „Manifest der Kommunistischen Partei“ wird zwar ausgeführt, die Bourgeoisie habe „die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen“, aber es wurden nur „die Männer“ genannt, „die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ (MEW 4: 468; Hervorhebung von Marx).

Ebenso wenig wie Engels‘ spätere Patriarchatskritik (die immerhin von August Bebel in dessen Buch „Die Frau und der Sozialist“ fortgeführt worden ist) wurde folgende Einsicht aus dem „Kapital“ von Marx, Engels und Theoretikern, die sich auf die beriefen, aufgegriffen:
»Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtum untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW 23: 529/530)
2016 erschien auf Deutsch die Dissertation des japanischen Ökonomen Kohei Saito: „Natur gegen Kapital. Marx‘ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus.“ Auf den ersten Blick erinnert das an „Goethe und die Landwirtschaft“ – als werde Marx etwas untergeschoben. So ist es aber nicht. Saito hat im Zusammenhang mit der vierten Abteilung der Marx-Engels-Gesamtausgabe Marx‘ naturwissenschaftliche Exzerpte (und auch einige Briefe) untersucht und zeigt, dass dessen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus tatsächlich über Analyse und Kritik der Mehrwertproduktion hinausgegangen ist. Wahr ist aber auch, dass sie nicht im Zentrum dessen steht, was er selbst veröffentlicht hat oder für die nicht mehr zu seinen Lebenszeiten erschienenen, aber von ihm geplanten Bände des „Kapital“ vorgesehen hat. Hätte er lange genug gelebt, dann hätte er eher noch ein Buch über den Staat geschrieben. Erst im 21. Jahrhundert musste eine Situation in der Realität herangereift sein, die auch die Marx-Exegese auf diesen schließlich auch von ihm selbst vernachlässigten Teil seines Denkens lenkte.
Das immerhin schon von ihm angesprochene Mensch-Natur-Verhältnis war im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zu einem allgemein als drängend wahrgenommenen Problem geworden, wurde aber erst ansatzweise historisch-materialistisch bearbeitet. Marxist(inn)en, die sich an der Sowjetunion orientierten, blendeten Umweltzerstörung in den staatssozialistischen Ländern aus, sozialdemokratische und kommunistische Gewerkschafter(innen) im Kapitalismus nahmen für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen Ressourcenverschleiß sowie die Belastung von Boden, Wasser und Luft hin, im Übrigen auch die Produktion von Waffen und die Teilnahme an einem Wettrüsten, das die schnelle Auslöschung der Menschheit nach sich ziehen konnte.

Wir beobachten hier Phänomene der Abwendung und Ermüdung, die nichts mit den Texten von Marx und Engels oder ihrer Denkweise zu tun haben, sondern mit einem mittlerweile eingetretenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, das deren Rezeption und Weiterentwicklung als aus der Zeit gefallen erscheinen ließ. Auch die Rehabilitation der seit dem Erscheinen des „Kapital“ hoch umstrittenen Marxschen Arbeits- und Mehrwerttheorie durch das 1983 erschienene Buch „Laws of Chaos“ von Emmanuel Farjoun und Moshé Machover war in dieser Situation für die Katz.

Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts breitete sich der angloamerikanische „Analytische Marxismus“ aus. Er ist als eine Art Akademischer Marxismus eine Enklave innerhalb der Universitäten und auch des Publikationswesens ohne jeden praktischen Bezug und bemüht um eine Übersetzung der zentralen Begriffe des Historischen Materialismus und der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie in die Terminologie anderer philosophischer und sozialwissenschaftlicher Richtungen – darunter der Analytischen Philosophie, des Kritischen Rationalismus und der Rational-Choice-Theorie. Ein Buchtitel von Jon Elster von 1985: „Making Sense of Marx“ brachte diese Absicht programmatisch zum Ausdruck – versprochen wurde ein Weg von Mythos der „Großen Erzählungen“ hin zum state of the art der nichtmarxistischen akademischen Wissenschaft. Man kann darunter einen Versuch zur Herstellung einer Einheit der Sozialwissenschaften sehen oder eine Unterordnung unter bürgerliche Hegemonie.

Insgesamt handelt es sich bei diesen Entwicklungen um das, was man seit der Mitte der siebziger Jahre immer häufiger als die „Krise“ des Marxismus bezeichnete. In Übernahme einer Metapher aus der Medizin bezeichnet eine Krise die Alternative zwischen einer Krankheit zum Tode oder der Wendung zum Besseren.
Der Untergang des Staatssozialismus ab 1989 veränderte die Szenerie, bevor über diese Alternative in den Metropolen des Kapitalismus entschieden war.

Damit sind wir dicht an die Gegenwart herangekommen:
Nach 1989
Schon in den späten siebziger und die achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatte sich eine als „postmodern“ bezeichneten Version des so genannten „Linguistic Turn“ in den Sozialwissenschaften angebahnt. Jetzt, nach dem Ende des Staatssozialismus, wurde diese Richtung hegemonial. Für ihre Vertreter(innen) sind gesellschaftliche Tatsachen letztlich nur sprachliche und ideologische Konstruktionen, historische Kausalitäten „Große Erzählungen“. Damit wurde die Auffassung von Marx und Engels, wonach das gesellschaftliche Sein das gesellschaftliche Bewusstsein bestimme, in ihr Gegenteil verkehrt. Wer an ihr festhält, mag diese Wendung als Ausdruck der neuesten wirtschaftlichen und sozialen Realität interpretieren: des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, in dem hinter dem Marktpreis der Waren ihr Arbeitswert verschwindet – theoretisch vorweggenommen im Begriff des „Fetisch“ im ersten des fiktiven Kapitals im dritten Band des Marxschen Hauptwerks. Hier ersetzt scheinbar der Überbau die Basis ebenso wie in den Glaskonstruktionen von Wolkenkratzern, die in dieser Phase auch außerhalb der USA üblicher wurden, die tragenden Elemente verschwunden zu scheinen und der Baustil durch den spekulativen Grundstückpreis bestimmt wird, nicht durch die Kosten für die Errichtung der Häuser. In diesen Zusammenhang gehört ebenfalls der inflationäre Gebrauch des Begriffs „virtuell“ und die Popularität von Fantasy-Literatur.

In einigen ehemals sozialistischen Ländern erschien Marx jetzt als ein verbotswürdiger Irrlehrer, in den manchmal milder gestimmten altkapitalistischen Metropolen eher als ein abgetaner Theoretiker des 19. Jahrhunderts, dessen Werk allenfalls als ein interessantes und ungefährliches Produkt behandelt werden konnte. Hierher gehören die Entscheidung der UNESCO von 2013, das „Manifest der Kommunistischen Partei“ und den ersten Band des „Kapital“ zum Weltkulturerbe zu erklären – wie die Himmelsscheibe von Nebra – und der Film „Karl Marx“ von 2017. Einer solchen Verharmlosung ist es immerhin auch zu verdanken, dass die historisch-kritische Marx-Engels-Gesamtausgabe gerettet werden konnte: sie erscheint mit staatlicher finanzieller Förderung der Bundesrepublik weiter. Bedingung war eine Akademisierung ihres Gegenstandes, der dann allerdings vielleicht wie eine Flaschenpost wirken kann, die sich in Zukunft wieder entkorken lässt. Es könnte scheinen, als habe diese Zukunft bereits begonnen. Mit dem Ende des Staatssozialismus sind Marx und Engels ausschließlich wieder an ihrer alten Wirkungsstätte positioniert: im höchstentwickelten Kapitalismus. Dessen Zustand spiegelt sich darin, dass ganz bestimmte Aussagen ihres Werks hochaktuell erscheinen. Die so genannte Globalisierung wird bereits im „Manifest der Kommunistischen Partei“ beschrieben, die Krisentheorie bereits in den „Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie“ von Engels, vollends aber des „Kapital“ ist durch die vielfältigen Wirtschaftskrisen nach 1989 bestätigt, der finanzmarktgetriebene Kapitalismus lenkt die Aufmerksamkeit auf die Analyse des zinstragenden Kapitals im dritten Band des „Kapital“. In diesem können auch Erklärungen für die Arten der Supergewinne, die Internet-Unternehmen wie z.B. Google und Facebook erzielen, gefunden werden. Sie entfallen auf Werbung. Solche Unternehmen gehören also zum Warenhandlungskapital (MEW 25: 278-291). Dessen Profite sind von denjenigen des Industriekapitals abgezweigt, dessen Mehrwertrate u.a. durch enorme Produktivitätssteigerung aufgrund der Digitalisierung riesig ist.

In den Arbeiten des US-amerikanischen Geografen David Harvey wird Marx’ Theorie der so genannten ursprünglichen Akkumulation aktualisiert: Letztere erweist sich nicht als einmaliges historisches Ereignis, sondern als ein Strukturmerkmal des Kapitalismus, etwa in den Privatisierungen öffentlichen Eigentums und in der Aufhebung kleineren privaten Eigentums durch Zentralisierung und der Aufhebung öffentlich-rechtlicher Sicherungssysteme. Wie bei Rosa Luxemburg verbindet sich auch bei ihm durch Berücksichtigung des räumlichen Aspekts Akkumulation mit Imperialismus. Bei Robert Paul Brenner (geb. 1943) wird Marx’ Theorie der Überakkumulation am Beispiel der USA seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts empirisch in der Analyse der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrisen verifiziert.

Selbst der Sturz des Staatssozialismus kann als Bestätigung einer Marxschen These gelesen werden, nämlich der Aussage im Vorwort von „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ von 1859, dass Produktivkräfte Produktionsverhältnisse sprengen können, die zu eng für sie geworden sind. Allerdings handelte es sich um bisherige staatssozialistische, nicht kapitalistische Verhältnisse – wieder einmal Erfahrungstatsachen, die nicht gegen, sondern für Marx sprachen.

Nach dem von Farjoun und Machover 1983 erzielten Durchbruch erschienen mehrere logisch stringente und empirisch belegte Bestätigungen und Weiterentwicklungen der Arbeits- und Mehrwertlehre von Karl Marx. (Siehe u.a. Fröhlich, Nils: Die Aktualität der Arbeitswerttheorie. Theoretische und empirische Aspekte. Marburg 2009.) Sie verwarfen das Konstrukt der Durchschnittsprofitrate im dritten Band des „Kapital“, hielten dagegen die Argumentation des ersten Bandes für ausreichend. W. Paul Cockshott und Allin Cottrell haben unter dem Titel „Alternativen aus dem Rechner“ auf dieser Grundlage einen Vorschlag „für sozialistische Planung und direkte Demokratie“ unterbreitet. Anders als Marx verfügten sie nun über 1. eine Mathematik, die es erlaubte, den Arbeits- und Mehrwert korrekt zu modellieren, 2. weitaus umfangreicheres statistisches Material, 3. Instrumente einer digitalisierten Planung.
Solange aber das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse fehlt, das die Realisierung eines solchen Projekts unabdingbar macht, bleibt es eine Kopfgeburt wie einst die Entwürfe Wilhelm Weitlings – wie denn überhaupt die jetzt aktuell gewordene Rehabilitation utopischer Vorstellungen als eine Art Umkehrung eines einst von Friedrich Engels bezeichneten Weges erscheint: aus seiner „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ geht der Weg von einer als nicht ausreichend wahrgenommenen Realisierung von Wissenschaft zur Utopie. Man kann auch von einer Hinwendung zu einem normativen Sozialismus sprechen. Diesen findet man z.B. bei dem Analytischen Marxisten Gerald Alan Cohen („Why not Socialism?“ 2009) und bei Dietmar Dath. Hier handelt es sich keineswegs um eine Regression des Denkens (etwa: zurück von Marx), sondern wiederum um einen theoretischen Reflex realer Zustände.

Wer dies nicht aushält, wird – wie einst schon Marx und Engels im „Manifest der Kommunistischen Partei – der Versuchung nachgeben, aktuelle Tendenzen zu verabsolutieren und zu finalisieren. Dies gilt für das Werk „Empire“ von Hart/Negri und das Unternehmen Paul Masons, das „Maschinenkapitel“ aus Marx‘ „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“ (1857/1858) für seinen Entwurf einer digitalen postkapitalistischen Gesellschaft heranzuziehen.
Eine implizite Kritik von derlei Positivierungen des Antikapitalismus und eine probabilistische Kombination beider Ansätze ist der „Implex“ von Dietmar Dath und Barbara Kirchner (2012).

Also: Utopien, normativer Sozialismus, vorschnelle Positivierungen: Warum überwiegen sie derzeit?
Manche sagen, es fehle eben das revolutionäre Subjekt. Dieses Setzen auf ein einheitliches revolutionäres Subjekt entspricht aber nicht mehr der längst schon eingetretenen Zersplitterung der Arbeiterklasse und aller Unterklassen, unter anderem auch ihrer migrationsbedingten Zerklüftung, im 21. Jahrhundert. Wenn Marx und Engels im 19. Jahrhundert auf ein einheitliches soziales Subjekt setzten, so war das schon damals ein Irrtum – HiMidAKl, das Proletariat als Nachfolgesubjekt des Hegelschen Weltgeists. Worum es heute nur noch gehen kann, ist die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse als letzte Ursache einer Revolution.

So lange dieses Ensemble von Bedingungen nicht besteht und nicht erfasst und genutzt werden kann, lässt sich aus dem Buch „Das Kapital“ nicht lernen, wie der Kapitalismus aufgehoben wird, sondern wie er funktioniert. So erklärt sich wohl die Hegemonie der reinen Wertformanalyse der „Neuen ´Kapital‘-Lektüre“, die, wie gezeigt, zwar schon in den sechziger Jahren (bei Althusser und Backhaus) begonnen hatte, nach 1989 aber innerhalb des marxistischen Segments der Rest-Linken erst so richtig hegemonial wurde, in Deutschland vor allem durch Michael Heinrich: wird in ihr doch nicht eine Bewegung von Menschen zum Subjekt, sondern das vom „logischen“ Marx analysierte Kapitalverhältnis behandelt. Das erscheint gegenwärtig als realistisch.

Wenn für Marx und Engels neue Problemlagen zu Metamorphosen ihres jeweils erreichten Theoriestandes führten, so kann das auch für Gegenwart und Zukunft gelten. In einer radikalen Weise führten Margarete Tjaden-Steinhauer und Karl Hermann Tjaden eine solche Auseinandersetzung: durch die Untersuchung der ausbeutenden Verfügungsgewalt nicht nur im Verhältnis von Kapital und Arbeit, sondern auch im Patriarchat und in den Beziehungen der menschlichen Spezies zu ihrer natürlichen Umwelt – bis hin zu einer Zivilisationskritik, die über die von Engels in „Der Ursprung, der Familie, des Eigentums und des Staats“ geübte insofern hinaus geht, als in sie auch der von diesem (und Marx) nie in Frage gestellte Produktivkraft-Typ und die auf ihn bezogenen ideokratischen Denkformen einbezogen sind.
Dies sind weiterführende Anwendungen des Denkens von Marx und Engels auf die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Anders steht es mit einer gewissen Redundanz der Interpretation und Lebensbeschreibung von Karl Marx, die u.a. dazu geführt hat, dass neben einer Flut von Taschenbüchern in den Jahren unmittelbar vor dessen 200. Geburtstag allein drei Biographien erschienen, die den Anspruch erheben konnten, Standardwerke zu sein – Symptome einer inzwischen eingetretenen literarischen Überproduktion.
Von diesem selbstreferentiellen Treiben zu unterscheiden ist die philologische Texterschließung, die noch nicht an ihrem Ende angekommen ist.
2012 wurde die Zweite Abteilung der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) abgeschlossen. Sie enthält sämtliche Versionen des „Kapital“ samt Vorstudien und bislang nicht im Druck erschienener Fragmenten, nicht mehr nur die drei blauen Bände der DDR-Studienausgabe (MEW), sondern fünfzehn.
2017 erarbeitete Thomas Kuczynski, eine „Neue Textausgabe“ (NTA) des ersten Bandes des „Kapital“, die nicht nur ausführlich die französische Übersetzung der zweiten Auflage, sondern auch alle von Marx überlieferten Anweisungen und Notizen heranzieht. In der von Friedrich Engels 1890 herausgegeben vierten Auflage und in Band 23 der MEW (die auf dieser beruht) waren beide nur teilweise berücksichtigt worden. Eine Edition letzter Hand ist diese neueste Version zwar nicht – die hätte nur Marx selber, der nicht mehr dazu kam, machen können, –, aber eine, die am nächsten an sie heranreicht.
(Karl Marx: Das Kapital. Erster Band. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals. Neue Textausgabe, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynski. Hamburg 2017. 800 Seiten. Hardcover mit USB-Card.)

Und jetzt andersherum
Bislang wurde davon gehandelt, wie der Kapitalismus 200 Jahre lang den Marxismus hervorgebracht und immer neu gewandelt hat. Danach müsste darüber geredet werden, was der Marxismus 200 Jahre lang mit dem Kapitalismus gemacht hat, ob dieser unter dem Einfluss der Arbeiterbewegung sich gewandelt habe. Wer das bejaht, wird auf weitere Fragen geführt, zum Beispiel: waren diese etwaigen Wandlungen positiv oder negativ? Welchen Einfluss darauf hatten in beiden Fällen die einzelnen Richtungen der Arbeiterbewegung, von denen die marxistische nur eine von mehreren ist?
Letzlich:
Hat der Philosoph Marx die Welt wirklich verändert oder doch nur interpretiert?
Versuch einer Antwort:

Die Welt hat sich verändert – seit 1780, seit 1818. Daran haben mitgewirkt: die Produktivkräfte, die Produktionsverhältnisse, das Kapital, die Volksmassen einschließlich der Arbeiterklasse. Das Kapital hat sich im Wesentlichen so verhalten, wie Marx es „interpretiert“ hat. Ein Teil der Volksmassen (wenngleich ein kleiner), die an der Veränderung der Welt mitwirkten und noch mitwirken, beruft sich auf Marx. Dieser Karl Marx hat an der Veränderung der Welt zu seinen Lebzeiten sowie postum teilgehabt und wird auch noch zukünftig daran teilhaben in dem Maß, in dem Volksmassen gemäß seiner Theorie handeln und Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse, Kapital und politisches Personal darauf reagieren, weil sie darauf reagieren müssen. Mehr sollte man einem Philosophen gar nicht erst zutrauen, und es ist ganz schön viel.
Es bleiben aber ein paar Probleme:
Ungleichheit national und international – zwischen Arm und Reich, Zentren, Semiperipherien und Peripherie, Männern und Frauen, unverändert herrscht das Kapital über die Arbeit;
die Verwüstung der natürlichen Lebensbedingungen;
Kriege und Kriegsgefahr.
Das gab es schon zwischen dem 5. Mai 1818 und dem 14. März 1883, in den 135 Jahren nach Marx‘ Tod und auch in den Jahrhunderten vor seiner Geburt.
Irgendwann muss es aber geändert werden, zumal einige dieser Probleme sich immer mehr verschärfen, vielleicht bis hin zu einem point of no return.
Ohne Beachtung der Einsichten von Marx wird das wohl kaum zu schaffen sein.
Um sie zu erschließen, empfiehlt sich allerdings ein Perspektivwechsel. Es sollte nicht – wie bisher oft häufig – gefragt werden, welche Aussagen von Marx und Engels in der Gegenwart auf welche Weise angewandt werden sollen. Stattdessen sollten, zunächst unabhängig von ihnen, Probleme der Gegenwart behandelt und eigene Lösungen versucht werden. Gewiss kann es hilfreich sein, wenn dabei erkundet wird, ob sich dazu auch bei Karl Marx und Friedrich Engels etwas Nützliches findet.
Einstein hätte nie zu seiner eigenen Theorie gefunden, hätte er sich auf die Lektüre und Interpretation von Newtons „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ beschränkt.

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