Bürgerliche Geschichtsscheiber, wie jüngst etwa Heinrich August Winkler in der FAZ, brachten auch in den zurückliegenden Wochen das geschichtswissenschaftliche Kunststück fertig, die Oktoberrevolution des Jahres 1917 aus dem Kontext des Ersten Weltkrieges zu reißen. Das ist zwar in etwa so, als würde ein Mediziner die Begutachtung eines Heilmittels mit der eigentlichen Krankheit verwechseln, es ist aber andererseits von der bekannten Funktion der Geschichtsschreibung als Ideologieproduzent im Interesse des jeweils Herrschenden von Pergamon bis heute absolut verständlich.
Sogenannte marxistisch-leninistische Geschichtsbetrachter neigen hingegen weiterhin dazu, nachdem an der Einordnung der Oktoberrevolution als Anfang vom Ende der kapitalistischen Produktionsweise durch den Zusammenbruch des Lagers des so genannten real existierenden Sozialismus gewisse Zweifel aufkamen, die („geniale“) Rolle Lenins im Revolutionsprozess überzubetonen.
Unser Interviewpartner, der Osteuropahistoriker Gert Meyer, betrachtete den Revolutionsprozess des Jahres 1917 in seinem vom Trotzfunk leider in lausiger Tonqualität aufgenommenen Vortrag in Marburg anlässlich des hundertsten Jahrestages der Oktoberrevolution dagegen aus einer Perspektive von unten.
Diesen Vortrag nahm der Trotzfunk zum Anlass, ein Interview mit Gert Meyer zu führen. In diesem ging es um
– die Wirtschafts- und Sozialstruktur Russlands des Jahres 1917;
– die Basisbewegungen, v. a. der der Bauern und Arbeiter;
– die Bedeutung der Basisbewegungen, der Gewerkschaften und der Parteien der Linken für den Revolutionsprozess des Jahres 1917;
– die Form, in der die Agrarfrage angegangen wurde und ihre Bedeutung für den weiteren Geschichtsverlauf;
– die Frage, warum die weitere Entwicklung in den Monaten und Jahren nach dem Oktober 1917 tendenziell in zunehmend staatlich-zentralisierter Form vor sich ging;
– der Stellenwert der Oktoberrevolution für die politische Linke.