Ende August demonstrierten Ausbaugegnerinnen der A 49 in Marburg. Zuvor hatten sie den Parteien einen Brief zum Thema geschrieben. Mit den Antworten, die sie auf diesen Brief erhalten hatten, setzten sich die Klimaschützerinnen während der Demonstration auseinander.
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An ihren Taten sollt Ihr sie messen!
Kommentar des Trotzfunks zum Weiterbau der A 49 durch den Dannenroeder Wald
Wer dachte, das Ausrufen des Klimanotstands wäre ein Hinweis darauf, Politik habe nach dem Nachhilfeunterricht der Fridays for Future – Bewegung verstanden, dass es auf Dauer höchst ungesund ist, permanent auf Kosten der Umwelt zu wirtschaften, sieht sich eines Schlechteren belehrt.
Rekapitulieren wir: 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen verabschiedet. Seitdem hat sich die Problematik verschärft. Hierzulande wurde die Klimaveränderung mit der 3. Trockenzeit in Folge unignorierbar spürbar. Fridays for Future trat auf den Plan und verlangte von der Politik, endlich in die Gänge zu kommen, während diese schließlich die Bewegung zu umarmen suchte – zu feste Umarmungen können allerdings zum Erstickungstod führen – und den Klimanotstand ausrief.
Jetzt also sollte sie kommen, die ökologische Wende. Und angesichts der gesundheits-, ökologie- und klimaschädlichen Abgase des Individual- und Lastverkehrs auf den Straßen gehört dazu natürlich auch eine ökologische und sozialverträgliche Verkehrswende.
Mit viel Tamtam und Oho rief auch das Marburger Stadtparlament den Klimanotstand aus – und es gab nicht wenige Umweltverteidiger, die das in helle Begeisterung versetzte. Es tat sich ja auch etwas. Bürger*innenversammlungen wurden angesetzt, um ökologisch fortschrittliche Ideen zu sammeln, Politik versprach, diese mindestens zu berücksichtigen, zumindest in Marburg schien mensch auf einem guten Weg. Die nüchterneren Zeitgenoss*innen unter uns guckten dagegen einfach mal auf den Busfahrplan im oberen Ockershausen, am Stadtwald oder in der Marbach und stellten fest, will mensch zur Frühschicht zum Beispiel bei einem der größten Arbeitgeber der Stadt, dem UKGM, kommen, dann nach wie vor ganz sicher nicht mit dem Bus. Da käme man nämlich viel zu spät an. Mensch muss aber nicht Stadtplanung studiert haben, um zu wissen, dass der Berufsverkehr eine der größten Quellen von Verkehrsaufkommen ist.
Dies alles vorausahnend hat der Goethe seinen Zirkusdirektor gleich am Anfang seines berühmtesten Dramas sagen lassen: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen.“
Schlimmer geht dagegen immer: Wir unternahmen diesen Sommer eine Fahrradtour entlang des Mains, Rheins und der Ruhr bis hoch ins Sauerland und überall bot sich dasselbe Bild: Fichte ist Geschichte in Deutschland. Überall in den Wäldern sieht mensch riesige braune Flecken. Macht durchaus einen leicht apokalyptischen Eindruck, schön anzusehen ist das nicht: Klimawandel, Erwärmung, Trockenheit, Monokulturen und den Rest erledigt der Borkenkäfer.
Und was macht Politik? Will mitten durch einen gewachsenen, gesunden Mischwald eine Autobahn in Private Public Partnership planieren, aufgrund von Planungen aus der Asphaltzeit, in der es zwar durchaus bereits Warnungen vor dem menschgemachten Klimawandel gab, aber nur, um sie konsequent zu ignorieren. Die Rede ist hier natürlich von dem Weiterbau der A 49 mitten durch den Dannenröder Forst.
Selbstverständlich soll der Weiterbau der Wirtschaft dienen. Und das ist natürlich einsehbar. Marburg wurde in den letzten 40 Jahren im Vergleich zum Beispiel mit der Nachbarstadt Gießen, die einen Autobahnanschluss hat, ökonomisch förmlich abgehangen. Man denke nur an die Nachfolgeunternehmen der Behringwerke und an die daraus resultierenden sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen! Ah Moment – ne, das ist ja umgekehrt. Die sind ja in Marburg, nicht in Gießen und es ist Marburg, das weit mehr prosperiert.
Nun gut – aber mensch kann die Lage ja noch verbessern. Finden auch die Gegner*innen des Weiterbaus der A 49 und schlugen vor, hiesige Firmen mit einem Gleisanschluss zu versehen. Soll schon in der Ersten Industriellen Revolution ganz gut geklappt haben. Scheint aber in Vergessenheit geraten zu sein, was zeigen könnte, dass es womöglich eine gute Idee gewesen wäre, aus dem Lokschuppen in städtischer Verantwortung ein Eisenbahn-und Verkehrsmuseum samt Startups mit progressiven Lösungen in Sachen Verkehr zu machen anstatt in privater Regie den nächsten Kommerzschuppen mit angeschlossener Hotellerie. Und diese Idee erscheint umso strahlender, schaut sich mensch die Antwort der Initiative „JA49“ an auf den Vorschlag, die regionalen Firmen an das Eisenbahnnetz anzuschließen. In der OP vom 3. September lesen wir, das ginge nicht, weil die heutige Infrastruktur der Bahn für den Wirtschaftsverkehr nicht ausreichend sei.
Das ist nun fast schon wieder gut! Da verwandelt Politik in der neoliberalen Offensive der 1990er Jahre die Deutsche Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG, baut etliche Bahnkilometer ab, legt für die Börsenhübschheit ganze Strecken still, lässt die Infrastruktur verkommen und spart am Personal bis es quietscht – um dann schulterzuckend festzustellen, die heutige Infrastruktur der Bahn reiche leider nicht aus, regionale Firmen mit einem Eisenbahnnetzanschluss zu versorgen, etwas, was mensch schon im 19. Jahrhundert vermochte!
Apropos Börsenhübschheit – wer war nochmal für die Bahnprivatisierung? Sören Bartol, hiesiger Direktkandidat und Abgeordneter der Klimanotstand ausrufenden SPD. Und der hat gegenüber der OP am 24. August im Interview seiner Befürchtung Ausdruck gegeben, dass der von ihm unbedingt befürwortete Bau der A49 hässliche Bilder produzieren werde. Und da hat er Recht, der Sören Bartol. Eingeschlagene Köpfe Wald rettender junger Menschen machten sich in der Tat ganz schlecht im Wahlkampf nächsten Jahres, wo Sören Bartol ja wieder das hiesige Direktmandat gewinnen möchte. Mehr noch – das nächste Mal, wenn die SPD das Wort Klima wieder in den Mund nimmt, könnte sie vom Publikum nur noch höhnisches Gelächter als Antwort bekommen.
Doch wo bleiben Bündnis90/Die Grünen? Warfen sie sich während der Fridays for Future-Proteste nicht in die Brust, sie seien die einzige wahre Ökopartei? Brachte ihnen das nicht einen enormen Aufschwung in den Wahlumfragen? Da trifft es sich in der angespannten Situation doch gut, dass die Grünen mit Tarek Al-Wazir in Wiesbaden den Verkehrsminister stellen. Doch leider, leider, ach, man würde ja so gerne – wenn einen die Sachzwänge, na, Sie wissen schon.
Ja, in der Tat, wir wissen: Papier ist geduldig, entscheidend sind die Taten! Und Politik muss dann auch nicht greinen, sie werde so ungerecht behandelt. Wenn Programmatik und Reden in der Opposition der Parteien so himmelweit entfernt sind von ihrem Regierungshandeln, dann steht die Funktionsfähigkeit repräsentativer Demokratie ernsthaft in Frage!
Streit um den „Allnatalweg“
Da waren die Bürger*innen aber erstaunt, als sie eines schönen Morgens aus der Presse erfuhren, dass die Marburger SPD eine Westumfahrung um Marburg, poetisch „Allnatalweg“ geheißen, plane. Wir vom Trotzfunk waren ebenso erstaunt. Begründet wird diese Westumfahrung nämlich nicht nur mit dem Verkehrsaufkommen verursacht durch den Pharmastandort Michelbach/Görzhäuser Hof, sondern auch mit den neu entstehenden Wohngebieten im Westen von Marburg. Nun hatte es bei letzteren eine vorbildliche Einbeziehung der Bürger*innen schon vor dem eigentlichen Planungsablauf gegeben. In diesen Debatten nahm sowohl im Stadtwald/Ockershausen als auch in der Marbach die Verkehrspolitik eine hervorragende Rolle ein. Von Bürger*innen wurden beispielsweise erneut die Westtangente und der Behringtunnel ins Spiel gebracht. All das wurde von Oberbürgermeister Thomas Spies zurückgewiesen. Von der Idee einer Westumfahrung in Form eines „Allnatalwegs“ war indes nie die Rede. Inzwischen wurde die Idee des Behringtunnels von der Marburger CDU aufgegriffen. Er soll die Nordstadt und die Ketzerbach durch eine unterirdische Verbindung von der Stadtautobahn in der Höhe des Afföllers bis zur Behringstraße von Verkehr entlasten. Dieses Projekt würde mindestens 45 Millionen Euro kosten, wahrscheinlich deutlich mehr.
Der von der Marburger SPD ins Spiel gebrachte „Allnatalweg“ soll von Lahntal im Norden bis nach Weimar im Süden gehen. Um diese Strecke zu realisieren, sollen die Ortschaften Dagobertshausen und Elnhausen sowie Hermershausen und Haddamshausen eine Umgehungsstraße verpasst bekommen, die an schon bestehende Straßen angeknüpft werden. Diese Umgehungsstraßen würden allerdings jeweils durch Landschaften gebaut, die zu den schönsten in der Umgebung von Marburg zählen, wie die Jogging- und Wanderabteilung des Trotzfunks empirisch gesättigt zu berichten weiß.
Ziel der Übung, hinter die sich auch Magistrat und Marburger CDU stellen, ist eine Beruhigung des durch den Industriestandort Michelbach/Görzhäuser Hof verursachten Verkehrs in der Marburger Kernstadt. In dem Industrie- und Gewerbegebiet nordwestlich der Marburger Kernstadt stehen große Teile der Produktions- und Forschungsstätten der Nachfolgeunternehmen der Behringwerke mit rund 5.000 Mitarbeitenden. Nicht nur diese verursachen Verkehr, hinzu kommt der bei solch großen Industrieansammlungen allfällige Schwerlastverkehr. Diese verkehrspolitische Herausforderung erfährt insofern noch einmal eine Steigerung, weil u. a. CSL Behring sein dortiges Engagement deutlich ausbauen will. Allerdings werden dadurch sehr wahrscheinlich auch die Geldeinnahmen der Marburger Kommune durch vermehrte Gewerbesteuern steigen, die für eine sozial und ökologisch orientierte Verkehrspolitik zur Verfügung stünden.
Es gab übrigens Zeiten in der Industriegeschichte nicht nur Deutschlands, in denen es üblich war, dass große Industriestandorte über einen Bahnanschluss verfügten. Bemerkenswerterweise wird darüber heutzutage nicht einmal mehr nachgedacht. Dabei würden durch einen solchen Bahnanschluss die Straßen vom Schwerlastverkehr befreit und ökologisch verträglicher ist der Schienentransport allemal.
Wie auch immer – erhebliche Teile der Bürger*innen der von den Umgehungsstraßen betroffenen Ortschaften scheinen jedenfalls suboptimal von den Plänen der SPD begeistert zu sein. 112 Menschen, so zählte der Kollege Till Conrad von der OP, taten ihren Unmut vor und in der letzten Stadtverordnetenversammlung im Dezember kund. Die Sprecherinnen der inzwischen gegründeten Bürgerinitiative (BI) „Allnatalweg-Bitte-Nicht“ erhielten eine kurze Redezeit, in der sie auf die Zerstörung der Natur und der Naherholungsmöglichkeiten durch den Straßenausbau hinwiesen. Auch die Lebensqualität der Bewohner*innen der betroffenen Dörfer sieht die BI durch das höhere Verkehrsaufkommen stark beeinträchtigt. Statt noch mehr Naturzerstörung durch Straßenbau fordert die BI eine ökologisch und sozial nachhaltige Verkehrspolitik.
Im Anschluss an die Sprecherinnen der BI trat Oberbürgermeister Thomas Spies ans Redepult und suchte zu beruhigen. Alles befinde sich in einer ganz frühen Phase. Vor einer möglichen Umsetzung gebe es eine „ordentliche Bürgerbeteiligung“. Mit dem Hinweis der Stadt Marburg an das Regierungspräsidiums Gießen, den „Allnatalweg“ bei der Aufstellung des Regionalplans Mittelhessen 2030 in Erwägung zu ziehen, befinde mensch sich im Stadium einer „Vor-Vorprüfung“. Der nächste Schritt komme frühestens Ende 2019. Wenn der Regierungspräsident den „Allnatalweg“ in den Regionalplan aufnehme, werde die Stadt Marburg eine Stellungnahme abgeben. Zu der werde es eine „Beteiligung“ geben. Dann entscheide die Stadtverordnetenversammlung. Auch eine eventuelle genaue „Linienfestlegung“, das Planfeststellungsverfahren sowie umfangreiche naturschutzrechtliche und andere Untersuchungen würden „entsprechend dem Bürgerbeteiligungskonzept begleitet“.
Während der Demonstration vor der Stadtverordnetenversammlung hatten wir Gelegenheit, mit den Sprecherinnen der „BI-Allnatalweg-Bitte-Nicht“, Frau Mitschke und Frau Stein, ein Interview zu führen.
Streit um das Marburger „Grünes Wehr“
Die Marburger*innen rieben sich verwundert die Augen, als sie diese Wochen vernahmen, dass es schon seit einem halben Jahrhundert Gutachten gebe, die die Sanierung des Grünen Wehrs forderten. Das letzte dieser Art sei 2008 erstellt worden, so die Stadtregierung. Als dann auch noch herauskam, dass diese Sanierung ein de facto – Abriss des seit bald einem halben Jahrtausend existierenden und funktionierenden Wehrs sein sollte und dass nebst Fischtreppe ein Kanupass mit Betonpodest gebaut werden sollte, da war für viele das Maß voll.
In Weidenhausen formierte sich eine Bürger*inneninitiative, die in Rekordzeit tausende Unterschriften gegen dass Vorhaben sammeln konnte. Auf diese Proteste reagierte Stadtpolitik mit dem Angebot eines „Bürgerworkshops zur Sanierung des Grünen Wehrs“, der am 26. Mai stattfand und von 200 Bürger*innen besucht wurde. Ein Ergebnis dieses Workshops war die Zusicherung von OB Spies eines aktuellen „Kurzgutachtens“ zum Grünen Wehr, das noch in diesem Jahr vorliegen solle. Gegenstand dieses Kurzgutachtens solle erstens die Frage sein, wie standfest das Wehr aktuell sei und zweitens die Frage, ob es grundsätzlich andere Sanierungsmöglichkeiten gebe, um den Baukörper des Wehrs mit gleicher Stabilität, Standsicherheit sowie denkmalgerecht und naturnah zu erhalten.
Der Trotzfunk unterhielt sich mit Genua Scharmberg von der Bürger*inneninitiative Grünes Wehr an Ort und Stelle darüber, wie Stadtpolitik das Thema kommunizierte, über die Haltung der BI zum Workshop, über die Frage, ob ein noch in diesem Jahr erstelltes Kurzgutachten die Intention der BI erfülle und wie es aus Sicht der BI denn nun weitergehen müsse.
Memorandum 2017: Ein Gespräch mit Heinz-Josef Bontrup, Teil 4: Die Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs und die Autobahninfrastrukturgesellschaft GmbH
Schaut man sich die nun zu Ende gehende Legislaturperiode an, die so reich an handfesten Wirtschaftsskandalen war, ist es auch von daher verwunderlich, wie dieser „Wahlkampf“ vor sich hin plätschert. Cum/Cum und Cum/Ex, Atommülldeal oder Autobahnprivatisierung – war da was?
Über all dies sowie über neoliberale Steueransichten und über das Memorandum 2017 sprachen wir mit dem Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Heinz-Josef Bontrup. Heinz-Josef Bontrup ist Professor für Ökonomie an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen.
Teil 4 unseres Interviews behandelt die Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, mit der die Zentralisierung der Verwaltung der Autobahnen beim Bund über eine privatrechtliche Autobahninfrastrukturgesellschaft GmbH erfolgte. Kritiker/innen sehen darin trotz gemachter Zugeständnisse der Politk aufgrund von Protesten eine formale wie de facto-Privatisierung der Autobahnen. Aus diesem Grund stimmten die Oppositionsparteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke im Bundestag dagegen, im Bundesrat aber dafür! Das brachte ihnen unter anderen die scharfe Kritik von Carl Waßmuth von „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) ein, siehe dazu: https://www.gemeingut.org/durchpeitschen…
Die Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs mitsamt der Autobahninfrastrukturgesellschaft erfolgte in Form von 13 Grundgesetzänderungen und 19 Begleitgesetzen, die am 1. Juni des Jahres vom Bundestag und am 2. Juni vom Bundesrat verabschiedet wurden. Mit diesem Gesetzespaket wurden erstmals die sogenannten öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) in das Grundgesetz aufgenommen. Mittlerweile wurde bekannt, dass die Politik von massiven Schwierigkeiten mit ÖPP-Projekten im Autobahnbau und -verwaltung weit vor diesen Gesetzesänderungen wusste, die Öffentlichkeit aber nicht informierte. Sieher dazu: http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaf… und http://www.berliner-zeitung.de/politik/a…
Memorandum 2017: Ein Gespräch mit Heinz-Josef Bontrup, Teil 2: Großzügige Staatsgeschenke an die Big-4 der Energieunternehmen, der Atommülldeal
Schaut man sich die nun zu Ende gehende Legislaturperiode an, die so reich an handfesten Wirtschaftsskandalen war, ist es auch von daher verwunderlich, wie dieser „Wahlkampf“ vor sich hin plätschert. Cum/Cum und Cum/Ex, Atommülldeal oder Autobahnprivatisierung – war da was?
Über all dies sowie über neoliberale Steueransichten und über das Memorandum 2017 sprachen wir mit dem Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Heinz-Josef Bontrup. Heinz-Josef Bontrup ist Professor für Ökonomie an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen.
Teil 2 unseres Interviews beschäftigt sich mit einem ganz legalen Wirtschaftsskandal, dessen finanzielle Folgen für die Bürger/innen noch weit höher ausfallen werden als die im Teil 1 behandelte, 30 Milliarden schwere Cum/Cum und Cum/Ex Gaunerei, von den desaströsen ökologischen Problemen hier ganz abgesehen. Die Rede ist von dem Atommülldeal, den CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die Grünen mit den Big-4 der hiesigen Energieunternehmen ausgehandelt haben. Die Beteiligten an diesem Deal treten dem Verursacherprinzip dabei aber mal so richtig in den Allerwertesten. 23,5 Milliarden Euro zahlen die Energiekonzerne in einen staatlichen Fonds und – sind dann aller den Atommüll betreffenden Sorgen ledig. Dies, versteht sich, nach gewaltigen, staatlich subventionierten Gewinnen dieser Privatunternehmen mit der Atomenergie in der Vergangenheit.
Drei Annahmen lagen diesem Staatsgeschenk an das private Kapital zugrunde:
– Trotz eines Reinvermögens von über 80 Milliarden Euro könnten die Energieunternehmen pleite gehen und da in der Vergangenheit ja keine Rücklagen, sondern nur gewinnsteuermindernde Rückstellungen gebildet wurden, die jetzt aber nun einmal real nicht da sind, stünde der Staat am Ende womöglich mit den Endlagerkosten des Atommülls alleine da. Der Rückbau der Atomkraftwerke sowie die Verpackung des Atommülls verbleiben aber in der Verantwortung der Big-4. Hier scheinen sie also wieder ganz solvent zu bleiben.
– Der Staatsfondes realisiert Zinsgewinne von 4,58 Prozent. Wo und womit bleibt ein Staatsgeheimnis.
– Der Atommüll hört nach 2099 auf zu strahlen. Das beruhigt, auch dass wir mit einer Physikerin eine Frau mit Expertise an der Spitze der Regierung haben und weitere vier Jahre haben werden.
Unser Interviewpartner Heinz-Josef Bontrup war zum Thema im Bundestag als Sachverständiger geladen. Sein an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassendes Gutachten findet sich hier: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/170102_Bontrup-Anhoerung-Bundestag-Kerntechnische-Entsorgung-b.pdf
Wer Bontrups Ansichten zum Thema nur noch einmal kurz überfliegen möchte, ist hier gut bedient: http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/atomenergie-gewinne-fuer-sich-verluste-fuer-alle-a-740009
Kürzungshaushalt gegen Proteste durchgesetzt
Trotz der Proteste gegen die Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich, die am Freitag, den 31. März, in die Kundgebung von rund 500 Leuten auf dem Marktplatz vor der Stadtverordnetenversammlung mündeten, wurde mit den Stimmen von SPD, BfM und CDU ein Haushalt verabschiedet, der nach Angaben der OP die Minderung von Zuschüssen im Sozialbereich von rund 100.000 Euro und im Kulturbereich von rund 70.000 Euro vorsieht.
Die Haushaltsdebatte im Parlament brachte im Wesentlichen nichts Neues. Die Haushaltsbefürworter(inn)en sehen ein strukturelles Haushaltsdefizit und ein Ausgabenproblem der Stadt, die Haushaltsgegner(inn)en, bestehend aus Marburger Linken, Grünen und Pirat, sehen dagegen die finanzielle Situation der Stadt absichtsvoll schlecht geredet. Darüber hinaus verlangt die Marburger Linke eine Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes von derzeit 400 Punkten auf den Durchschnitt der Städte vergleichbarer Größe in Deutschland, der bei 430 Punkten läge. Auch die Grünen, die noch einmal für ein linkes Bündnis aus SPD, Marburger Linken und ihnen selbst plädierten, schließen mittelfristig eine Erhöhung der Gewerbesteuer nicht aus im Gegensatz zu SPD, CDU und BfM.
Die Absicht des „absichtsvollen Schlechtredens“ der Marburger Finanzlage verortete der Fraktionschef der Grünen, Dietmar Göttling, in der Haushaltsdebatte bei „rechten Strategen der SPD“, die diese der CDU zutreiben wollten. Oberbürgermeister Spies unternehme das, um den neoliberalen, autoritären Sparkommissar geben zu können und verkaufe die Stadt dafür an eine Partei, die weder mit dem Bortshausener Kriegerdenkmal noch mit dem von rechten Burschenschaften dominierten Marburger Marktfrühschoppen irgendwelche Probleme habe. Spies desavouiere dabei die Politik seines Vorgängers Vaupel, dessen nicht mehr Bürgermeister sein nicht nur bei Göttling erkennbare Phantomschmerzen auslöst. Natürlich durfte auch in der Marburger Haushaltsdebatte der US-amerikanische Präsident Donald Trump nicht fehlen. Auf die Streichungen in Sachen Klimaschutz im Marburger Haushalt anspielend rief Göttling aus: „Wäre Trump Oberbürgermeister in Marburg, er wäre stolz auf seine Republikaner.“
Der Fraktionschef der Marburger Linken, Jan Schalauske, sprach ebenfalls von der Beschwörung eines Haushaltsdefizits als einem Manöver, um die SPD in die Arme der CDU zu treiben. Bezüglich der „intensiven Zusammenarbeit“, so lautet die Sprachregelung der faktischen Großen Koalition zwischen SPD und CDU, sprach Schalauske von einer Zeitenwende. Zwar seien durch die Mobilisierungen drastischere Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich für 2017 abgewendet worden, die allerdings im Einzelnen trotzdem sehr wehtun könnten, doch sei zu befürchten, dass die jetzigen Kürzungen erst der Auftakt für spätere noch radikalere seien.
In der Tat wurde von den Rednern der CDU in der Haushaltsdebatte der dauerhafte Haushaltsausgleich als zentralen Punkt ihrer Kommunalpolitik benannt. 20 Millionen Euro an Haushaltskürzungen in den nächsten Jahren stehen hier in Rede.
Wie OB Spies mit den Freien Trägern im Sozialbereich auf der einen Seite eine „Kooperative Sozialplanung“ gestalten will und auf der anderen Seite mit der CDU als Koalitionspartner Haushaltspolitik betreiben will, bleibt vorerst sein Geheimnis. Die Sozial- und Kulturinitiativen der Stadt sind jedenfalls gut beraten, ihren außerparlamentarischen Druck aufrechtzuerhalten.
Trauer um getötete Radfahrerin in Marburg
Am Mittwochmorgen ereignete sich in Marburg in der Bahnhofstraße auf der Höhe der Post ein tödlicher Verkehrsunfall. Eine 28jährige Fahrradfahrerin wurde von einem LKW erfasst und erlag wenig später ihren Verletzungen.
Am gleichen Tag versammelten sich an der Unfallstelle rund 20 Menschen zum Gedenken, heute am Donnerstag waren es über 40 Menschen. In die Trauer um die getötete Radfahrerin mischt sich auch Wut über die Verkehrssituation in Marburg, der der Marburger Verkehrsaktivist Wolfgang Schuch im Interview mit uns Ausdruck verleiht.
Schuch hatte in einer Mobilisierungsmail, die dazu auffordert, nach dem tödlichen Unfall nicht einfach zum Alltag überzugehen, folgende erschreckende Zahlen angeführt: Demnach sei für Kinder unter 14 Jahren der Tod im Straßenverkehr die Todesursache Nummer 1 in Deutschland. Und die Anzahl der Verkehrstoten läge statistisch bei 10 Menschen, jeden Tag!
Die Trauernden waren heute nicht gewillt, zum Alltag überzugehen. Sie wollen morgen, am Freitag den 3. Februar, wieder an der Unfallstelle Bahnhofstraße auf der Höhe der Post und wieder um 17 Uhr der getöteten Radfahrerin gedenken und danach eine gemeinsame Fahrradfahrt durch Marburgs Straßen unternehmen.
Busfahrer(innen)streik in Hessen
Interview mit Maik Moll, Busfahrer und für ver.di Mitglied der Tarifkommisssion (Download) (Anhören)
Seit den frühen Morgenstunden des 9. Januar sind die hessischen Busfahrer(innen) in den unbefristeten Streik getreten. Auch die Busfahrer(innen) der Marburger Verkehrsgesellschaft, ein Tochterunternehmen der Marburger Stadtwerke, stehen im Ausstand.
Unser Gesprächspartner Maik Moll, selbst Busfahrer der Marburger Verkehrsgesellschaft und für ver.di Mitglied der Tarifkommission, bringt Trotzfunk gegenüber die Motive des Streiks auf folgende Punkte: Niedrige Entgelte, bescheidene Arbeitsbedingungen und geringe Rentenerwartungen.
Seit einem halben Jahr laufen die Tarifgespräche nun schon, in denen sich aus der Sicht der Streikenden der Landesverband Hessischer Omnibusunternehmer (LHO) bislang deutlich zu wenig bewegte. Wie lange also der unbefristete Streik gehen wird, ist Stand Mittag 9. Januar nicht absehbar.
Marburg: Fahrräder kapern Stadtautobahn
27. Oktober 2016: Fahrrad- und Skaterdemo (Download) (Anhören)
Am Donnerstag, den 27. Oktober, fand in Marburg die mittlerweile 4. Fahrrad- und Skaterdemo für eine Aufwertung des Fahrrads im Straßenverkehr sowie überhaupt für eine ökologische und soziale Verkehrspolitik statt. Dabei wurde unter anderem die Autobahn zur Fahrradbahn gemacht. Der Trotzfunk radelte mit.